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Drohne gegen Drohnenabwehr: Der Beginn der Spirale

Kristóf Nagy

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Es liegt in der Natur bewaffneter Konflikte, dass sich im Laufe ihres Fortschreitens Reaktionen auf bestimmte Entwicklungen, respektive Aktionen zeigen. Dieses Spiel von Aktion und Reaktion kann sowohl technischer als auch taktischer Natur sein. Zumeist ist es jedoch ein Verbund aus beidem und wird, nach dem Durchlaufen des ersten Zyklus, zuweilen als sich weiter entwickelnde Spirale beschrieben. Die kürzlich in russischen Telegram-Kanälen diskutierte Entwicklung zeigt, wie viele Beispiele vorher, dass in Bezug auf Drohnenabwehr im Ukrainekrieg der Punkt, wo technische und taktische Weiterentwicklung in eine Spirale eintreten, erreicht sein könnte.

Eines der prägnantesten historischen Beispiele für solche eine Spirale ist der Umgang von Luftwaffen mit der Bedrohung durch Flugabwehrsysteme. Wenn man die Bemühungen zur Ballonabwehr außen vor lässt, entstand der Kern der modernen Flugabwehr im Ersten Weltkrieg und nahm bis Ende der 1940er Jahre eine rasante Entwicklung.

Im Zweiten Weltkrieg und auch im Koreakonflikt erfahrene hohe Verlustraten durch Flugabwehr führten zu ersten isolierten Versuchen diese wenigstens zu unterdrücken. Eine wirklich institutionelle Lösung würde jedoch erst im Vietnamkrieg durch die US-Luftwaffe etabliert. Der Gefahr durch die Technologie der Flugabwehrlenkflugkörper wurde die Taktik zur Unterdrückung der feindlichen Flugabwehr (Suppression of Enemy Air Defences/ SEAD) entgegengesetzt. Die verwendeten Flugzeuge erhielten erst später auf die Rolle zugeschnitten Befähigungen, wie elektronische Störmittel und Luft-Boden-Lenkflugkörper zur Bekämpfung von Radaranlagen. Die SEAD-Missionen der ersten Stunde wurden von herkömmlichen Jagdbombern geflogen, welche lediglich ihre Taktik anpassten. Moderne SEAD-Operationen haben sich seither zu komplexen, multiple Domänen berührende Vorgänge mit weitreichenden Marschflugkörpern und Maßnahmen im Cyberraum entwickelt und sind für die Erringung der Lufthoheit über dem Operationsgebiet unerlässlich.

Im Lichte dieser historischen Beispiele ist die eingangs erwähnte Diskussion in den russischen Telegram-Kanälen zu betrachten, welche die aktuell zu beobachtende Anpassung der ukrainischen UAS-Kräfte an die russische Drohnenabwehr thematisieren. Die Teilnehmer des Diskurses führen die Entwicklungen rund um Einsatz und Abwehr der schweren ukrainischen Multikopter-Drohnen, welche unter dem Sammelbegriff „Baba Yaga“ bekannt geworden sind, ins Feld. Diese seit Beginn des Konfliktes stetig weiterentwickelten, gegen elektronische Maßnahmen gehärteten unbemannten Wirkmittelträger setzen insbesondere seit diesem Frühjahr den russischen Streitkräften zu. Die Schwächen des Systems in Form von Größe und teilweise auch Lautstärke wurde durch die Nutzung in der Nacht durch die ukrainische Seite erfolgreich egalisiert.

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Erst mit der Schaffung von speziell ausgestatteten und ausgebildeten Kompanien zur Drohnenabwehr konnten die russischen Streitkräfte der Bedrohung etwas Wirksames entgegensetzen. Diese Einheiten, welche trotz der Bezeichnung zumeist nur Gruppen- oder maximal Zugstärke haben, wurden mit Maschinengewehren ausgestattet, welche allesamt ein Wärmezielgerät aufweisen. Zudem sind die Einheiten mit kleinen geländegängigen Fahrzeugen (ATV) beweglich gemacht. Die Mobilität und Reaktionszeit wird weiterhin dadurch erhöht, dass die Maschinengewehre, zumeist vom Typ PKM im Kaliber 7,62 x 54R mm, auf diesen Fahrzeugen lafettiert sind und sofort nach dem Bewegungshalt den Feuerkampf führen können. Diese Idee ist nicht neu, da die Ukraine die meisten Shahed-136-Einwegdrohnen mit ebensolcher Waffen-Sensor-Kombination, jedoch meist in der Kalibergruppe der Maschinenkanonen seit letztem Jahr erfolgreich bekämpft.

Die skizzierte Entwicklung ist bis dato als das bekannte Spiel zwischen Aktion und Reaktion zu betrachten, auch wenn es zweifelsohne in Bezug auf die Härtung gegen elektronische Gegenmaßnahmen bereits mehrere Evolutionsschritte bei UAS innerhalb des Konfliktes gab. Neuste Diskussionen in russischen Telegram-Kanälen legen jedoch nahe, dass der Vorgang eine neue Qualität erfahren hat und offenkundig in die Phase der Spirale eingetreten ist.

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Demnach werden die Wirkmittel tragenden Quadcopter auf ukrainischer Seite auch nachts durch spezielle FPV-Drohnen abgesichert. Diese verfügen über ein Wärmebildgerät, um die Zielaufklärung und Verfolgung eigenständig durchzuführen. Die russischen Einsatzberichte sprechen von mindestens zwei Begleit-FPV-Drohnen pro Wirkmittelträger. Im Falle eines Beschusses durch die mobilen russischen Drohnenabwehrtrupps werden diese zielgerichtet durch die nachtkampffähigen ukrainischen FPV-Drohnen angegriffen. Zudem werden die schweren Quadcopter dazu verwendet, die möglichen An- und Abmarschwege der russischen Drohnenabwehrtrupps gezielt aus der Luft zu verminen, um ihre Bewegung zu hemmen und weitere Verluste zu erzeugen. Die hierdurch erzielten Verluste der russischen Drohnenabwehr ermöglichen eine erneute Nutzung der Baba-Yaga-Drohnen im betroffenen Operationsraum.

Demnach haben die ukrainischen Streitkräfte erstmalig dokumentiert, auf einen Abwehrerfolg gegen ihre unbemannten Systeme reagiert und neben technischen und taktischen Umstellungen auch organisatorische Maßnahmen ergriffen, um die Überlebens- und Durchsetzungsfähigkeit der eigenen Drohnen zu erhalten. Dies ist vereinfacht formuliert nach dem Kampf Drohne gegen Drohne eine weitere Revolution dieses Krieges. Unbemannte Luftfahrzeuge führen offenkundig erstmalig SEAD-Missionen gegen die  Drohnenabwehr durch und gewinnen dadurch die Initiative zurück.

Es kann daher mit hoher Wahrscheinlichkeit festgehalten werden: Streitkräften, welche in der Zukunft in hochintensiven Gefechten unbemannte Luftfahrzeuge für die eigene Operationsführung nutzen wollen, müssen auch zwingend darüber nachdenken, wie die Drohnenabwehr des Gegners unterdrückt und idealerweise wenigstens temporär und lokal zerschlagen werden kann, um die Überlegenheit zu erlangen.

Dies muss nicht zwangsläufig ausschließlich durch unbemannte Systeme erfolgen. Insbesondere in Frontnähe kann dies z.B. durch Spezialkräfte oder Artillerie bewältigt werden. UAS scheinen jedoch angepasst an die Begleitrolle prädestiniert für die Aufgabe. Zudem gilt es zu diskutieren, ob die Forderungen der russischen Diskussionsteilnehmer eine eigenständige Teilstreitkraft für unbemannte Systeme nach ukrainischem Vorbild zu schaffen, der richtige Schritt ist. Dass Drohnennutzung und -Abwehr zunehmend zusammen gedacht werden müssen, scheint jedoch offensichtlich. Zudem kann mit hoher Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der Kampf Drohne gegen Drohnenabwehr endgültig die Phase der Spirale erreicht hat.

Kristóf Nagy