Der deutsch-schwedische Marschflugkörper Taurus KEPD 350 rückt erneut in den Fokus. Ausnahmsweise steht die verstärkte Aufmerksamkeit nicht unmittelbar mit den Entwicklungen in der Ukraine in Verbindung. Stattdessen deutet vieles darauf hin, dass Schweden nach Deutschland, Spanien und Südkorea der vierte bestätigte Nutzer des Flugkörpers wird.
Ein (fast) bestätigter Taurus-Auftrag
In den letzten Wochen gab es unbestätigte Berichte, dass Schweden den Taurus-Marschflugkörper für seine Gripen-Flotte bestellt hat. Am 24. Februar 2025 berichtete eine große schwedische Zeitung, dass die militärische Beschaffungsbehörde Försvarets materielverk (FMV) mit der Beschaffung des Flugkörpers beauftragt wurde. Diese Meldung stützt sich auf den drei Tage zuvor veröffentlichten Jahresbericht der schwedischen Streitkräfte, der die Kaufabsicht bestätigt.
Zum jetzigen Zeitpunkt haben weder die Taurus Systems GmbH – eine Tochtergesellschaft von MBDA Deutschland und Saab Dynamics, die den Taurus KEPD 350 vertreibt – noch die schwedische Regierung oder die Streitkräfte das Geschäft offiziell bestätigt. Da die FMV jedoch offiziell mit dem Auftrag betraut wurde, dürften sich die Verhandlungen in einem fortgeschrittenen Stadium befinden, und eine offizielle Ankündigung scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein.
Einzelheiten des Beschaffungsvorhabens
Schweden hat bereits seit einiger Zeit den Bedarf an Langstreckenwaffen erkannt, zuletzt in der Defence Resolution 2025-2030, die die Beschaffungsprioritäten für die kommenden Jahre festlegt. Die Entscheidung für das Taurus-System ist wenig überraschend, da der schwedische Hersteller Saab Dynamics ein Hauptlieferant des Flugkörperprogramms ist.
Sollte der Auftrag bestätigt werden, wäre Schweden das vierte Land, das den Taurus KEPD 350 erwirbt. Entgegen hartnäckigen Fehlinformationen wurde der Taurus nicht in mehreren Varianten produziert – die KEPD 350 ist die einzige verfügbare Version, die auch Schweden erhalten würde. Allerdings ist es wahrscheinlich, dass Schweden eine weiterentwickelte Variante mit den Grundüberholung 2-Updates erhält, die derzeit für den Taurus-Bestand der Bundeswehr implementiert werden.
Die genaue Anzahl der Flugkörper, die die schwedischen Streitkräfte erwerben möchten, ist nicht bekannt. Angesichts der bisherigen Beschaffungspraxis Schwedens – etwa bei der RBS-15 Mk3/Mk4 – ist es zudem möglich, dass diese Zahl nicht veröffentlicht wird. Eine Bestellung von 100 bis 300 Marschflugkörpern erscheint jedoch plausibel.
Das einzige bisher bestätigte Detail ist, dass die anfängliche Betriebsfähigkeit (IOC) für die JAS-39C Gripen für 2028 erwartet wird, während die Integration auf die JAS-39E Gripen zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen soll. Die Gripen C dürfte Priorität haben, da frühere Tests die Integration bereits vorangetrieben haben, während für die Gripen E die Arbeiten noch nicht begonnen haben.
Auswirkungen auf die europäische Raketenindustrie
Der wichtigste Punkt ist, dass mit dem schwedischen Auftrag eine weitere Produktionslinie für Langstreckenwaffen in Europa wieder eröffnet werden könnte.
Derzeit ist SCALP-EG der einzige in Europa produzierte Marschflugkörper für den Bodenangriff, wobei die tatsächlichen Jahresproduktionszahlen unklar bleiben. Wahrscheinlich liegt die Produktion bei weniger als 100 Flugkörpern pro Jahr, möglicherweise eher bei 50.
Die übrige europäische Flugkörperproduktion konzentriert sich primär auf Anti-Schiffs-Marschflugkörper. Diese Systeme verfügen zwar über eine gewisse Fähigkeit zur Bekämpfung von Landzielen, doch fehlt ihnen die Reichweite, um Ziele tief in feindlichem Territorium zu erreichen.
Eine wiederbelebte Taurus-Produktionslinie würde der europäischen Flugkörperproduktion dringend benötigten Auftrieb verleihen. Allerdings bleibt die Frage der Produktionskapazität entscheidend.
Es gibt keine Hinweise darauf, dass MBDA Deutschland und Saab ihre Produktionsanlagen seit dem letzten Taurus-Auslauf im Jahr 2020 erweitert haben. Das bedeutet, dass die aktuelle Produktionskapazität voraussichtlich auf dem früheren Niveau bleibt. Basierend auf früheren Taurus-Bestellungen und Lieferzeiten kann die jährliche Produktionskapazität auf 40 bis 60 Flugkörper geschätzt werden.
Angesichts der existenziellen Bedrohung, der Europa ausgesetzt ist, liegt diese Produktionskapazität weit unter dem, was notwendig wäre. Zum Vergleich: Lockheed Martin produziert derzeit etwa 700 JASSM-ER-Marschflugkörper pro Jahr und plant, die Produktion auf über 1.000 Flugkörper jährlich zu steigern. Gleichzeitig fertigt Russland jährlich etwa 1.200 Marschflugkörper sowie 600 ballistische Kurz- und Mittelstreckenraketen.
Damit die europäische Flugkörperindustrie expandieren kann, müssen zwei Dinge geschehen:
- Große, mehrjährige Verträge, die langfristige finanzielle Sicherheit bieten und es privatem Kapital ermöglichen, die Expansion zu finanzieren.
- Öffentliche Investitionen in Produktionsanlagen, wie sie in den USA regelmäßig, in Europa jedoch selten erfolgen, um das finanzielle Risiko für private Hersteller zu verringern.
Ohne einen dieser Schritte wird die europäische Flugkörperproduktionskapazität, einschließlich der von Taurus, weit hinter dem zurückbleiben, was erforderlich ist, um den heutigen sicherheitspolitischen Herausforderungen zu begegnen.
Wer kommt als Nächstes?
Mit der schwedischen Bestellung würde die Taurus-Produktion wieder anlaufen, was die Tür für weitere Nutzer öffnen könnte.
Allerdings hat die Tatsache, dass Taurus Systems GmbH aufgrund fehlender Bestellungen die Produktion nicht vor 2025 aufnehmen konnte, bereits dazu geführt, dass mehrere europäische Staaten nach Alternativen gesucht haben – insbesondere nach der AGM-158B/B-2 JASSM-ER aus den Vereinigten Staaten. Dazu gehören die Niederlande, Polen, Finnland und sogar Deutschland selbst.
Ein großes Auftragspotenzial besteht allerdings weiterhin. Allein Deutschland hat einen geschätzten Bedarf von mindestens 1.000 Langstreckenflugkörpern, möglicherweise weit mehr. Es wäre schockierend – und ein massives Versagen –, wenn die neue deutsche Regierung nicht bald eine große Taurus-Bestellung aufgeben würde. Es ist auch möglich, dass eine gewisse Koordination zwischen Berlin und Stockholm zur Wiederaufnahme der Produktion und Bestellung von Taurus-Flugkörpern stattgefunden hat, auch wenn dazu noch keine offiziellen Informationen vorliegen.
Weitere potenzielle künftige Betreiber wären:
- Ukraine, die nach Regierungswechsel eine erste Lieferung von 50 bis 100 Taurus-Marschflugkörpern erhalten könnte. Folgelieferungen würden wahrscheinlich davon abhängen, ob die Bundeswehr ihren Bestand durch neue Industrieproduktion auffüllen kann.
- Italien, das bereits SCALP-EG betreibt und sich möglicherweise dafür entscheidet, dieses System beizubehalten.
- Norwegen, das eine luftgestützte Deep-Strike-Fähigkeit benötigt, einschließlich einer Fähigkeit zur Bekämpfung gehärteter Ziele. Angesichts der engen Kooperation zwischen Deutschland und Norwegen wäre der Taurus eine naheliegende Option. Allerdings müsste er für die F-35 integriert werden, was die Zustimmung von Lockheed Martin erfordert. Da Lockheed Martin jedoch selbst den JASSM-ER produziert, könnte das Unternehmen eine Taurus-Integration in die F-35 blockieren, um seinen eigenen Flugkörperverkäufe zu schützen.
Schlussfolgerung
Die wahrscheinliche schwedische Beschaffung des Taurus KEPD 350 ist ein wichtiger Schritt für die europäische Sicherheit und könnte den Weg für weitere Bestellungen durch andere europäische Staaten ebnen. Zwar ist es bedauerlich, dass die Wiederaufnahme der Produktion bis 2025 warten musste, doch besser spät als nie.
Dennoch bleibt in Europa eine erhebliche Lücke bei den Produktionskapazitäten. Ohne große Beschaffungsaufträge oder öffentliche Investitionen wird die europäische Flugkörperproduktion weiterhin hinter den operativen Anforderungen zurückbleiben.
Autor: Fabian Hoffmann ist Doktorand am Oslo Nuclear Project an der Universität Oslo. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Verteidigungspolitik, Flugkörpertechnologie und Nuklearstrategie. Der Beitrag erschien erstmalig am 2.03.2025 in englischer Sprache im „Missile Matters“ Newsletter auf Substack.