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Verteidigungspolitik im Koalitionsvertrag – CDU/CSU und SPD wollen Aufrüstung der Bundeswehr beschleunigen

Lars Hoffmann

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Die Koalitionäre von CDU, CSU und SPD haben sich auf weitreichende Veränderungen beim Thema Rüstung und Verteidigung geeignet. Wie aus ihrem heute präsentierten Koalitionspapier hervorgeht, stellt eine schnelle Aufrüstung der Bundeswehr einen Schwerpunkt ihrer Arbeit in den kommenden Jahren dar.

„Wir werden sämtliche Voraussetzungen schaffen, damit die Bundeswehr die Aufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung uneingeschränkt erfüllen kann“, heißt es im Vertrag. Um die Abschreckung zu gewährleisten sollen die Verteidigungsausgaben erhöht werden.

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Es ist vorgesehen, einen mehrjährigen Investitionsplan aufzustellen, um finanzielle Planungssicherheit zu gewährleisten. Außerdem soll noch im ersten halben Jahr der Regierungsarbeit ein Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz für die Bundeswehr beschlossen werden.

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Das Planungs- und das Beschaffungswesen wird reformiert. „Für einzelne Großprojekte, aber auch für Zukunftstechnologiebereiche, die einer hohen Innovationsdynamik unterliegen, werden wir neue Realisierungswege implementieren. In besonders kritischen Bereichen, wie Munition, werden wir verstärkt mit Vorhalteverträgen und Abnahmegarantien arbeiten. Die Verfügbarkeit von Schlüsselressourcen, wie zum Beispiel Sprengstoffen, wird abgesichert“, heißt es im Koalitionspapier. Bereits erfolgte Zertifizierungen und Zulassungen von Partnernationen sollen möglichst anerkannt und auf eine erneute Durchführung verzichtet werden.

Außerdem will die zukünftige Bundesregierung verstärkt Zukunftstechnologien für die Bundeswehr fördern und einführen. Dies gelte insbesondere für die Bereiche Satellitensysteme, Künstliche Intelligenz, unbemannte (auch kampffähige) Systeme, Elektronischer Kampf, Cyber, Software Defined Defense und Cloud-Anwendungen sowie Hyperschallsysteme. „Hierzu ist auch ein vereinfachter Zugang und vertiefter Austausch mit Forschungseinrichtungen, dem akademischen Umfeld, Start-Ups und Industrie notwendig“, schreiben die Koalitionäre. In diesem Zusammenhang sollen Hemmnisse, die beispielsweise Dual-Use-Forschung oder zivil-militärische Forschungskooperationen erschweren, abgebaut werden. Außerdem soll die Verteidigungsfähigkeit im Weltraum zügig ausgebaut und eine nationale Weltraumsicherheitsstrategie erarbeitet werden.

Ein Novum für die Bundesrepublik ist die veränderte Einstellung zum Thema Offset. „Bei Rüstungskäufen außerhalb des EU-Vergaberechts werden wir Offset-Möglichkeiten nutzen“, schreiben die Koalitionäre. Von bisherigen Bundesregierungen wurde das explizite Einfordern von solchen Gegengeschäften – wie von vielen Staaten praktiziert – für Rüstungskäufe abgelehnt.  

„Wenn die vollumfängliche Gewährleistung der Sicherheits- und Verteidigungsinteressen Deutschlands durch Änderungen der Eigentums- und Anteilsverhältnisse an Schlüsselunternehmen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie bedroht ist, werden wir auch strategische Beteiligungen des Bundes in Betracht ziehen“, heißt es weiter. Damit dürfte der Weg frei sein für weitere Bundesbeteiligungen, wie dies bei Hensoldt bereits umgesetzt wurde. Hiervon könnte womöglich der Marineschiffbau profitieren.

Außerdem wollen Union und SPD die Rüstungsexporte stärker an den deutschen Interessen in der Außen-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik ausreichten. „Die Unterstützung von Rüstungsexporten über Government-to-Government-Vereinbarungen bauen wir aus.“

Vorgesehen ist auch eine deutliche Steigerung der jährlichen Investitionen in militärische Infrastruktur . Dazu soll das  Genehmigungs- und Vergaberecht im Sinne der Bundeswehr angepasst werden. „Für militärische Bauvorhaben vereinfachen wir die Bedarfsdefinition und Genehmigung“, heißt es in dem Papier. Ebenso ist ein Bundeswehrinfrastrukturbeschleunigungsgesetz vorgesehen.

Weitere Vorhaben der Koalition betreffen unter anderem die Schaffung eines „neuen attraktiven“ Wehrdienstes, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert. Dabei orientiert sich die Bundeswehr am schwedischen Wehrdienstmodell. „Wir werden noch in diesem Jahr die Voraussetzungen für eine Wehrerfassung und Wehrüberwachung schaffen“, heißt es weiter. Außerdem soll der Dienst attraktiver gemacht und die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte insgesamt erhöht werden.

Abschnitt Verteidigungspolitik im Koalitionsvertrag im vollen Wortlaut

Die NATO ist ein tragender Pfeiler der transatlantischen Partnerschaft und für die europäische Sicherheit unverzichtbar. Wir bekennen uns zur Stärkung des transatlantischen Bündnisses und zur fairen Lastenteilung. Wir halten an der nuklearen Teilhabe innerhalb der NATO fest. Sie ist integraler Baustein der glaubhaften Abschreckung durch das Bündnis. Wir setzen uns dafür ein, den europäischen Pfeiler der NATO mit Nachdruck fortzuentwickeln und die EU-NATO-Zusammenarbeit weiter aufzuwerten. Wegen seiner geografischen Lage in Europa soll Deutschland als zentrale Drehscheibe der NATO weiter ausgebaut werden. Auch die maritime Sicherheit in Nord- und Ostsee ist von Bedeutung. Die europäische Zusammenarbeit in Rüstungsfragen muss dafür sorgen, dass die Ausstattung einfacher und standardisierter wird und Kosten- und Qualitätsvorteile durch gemeinsame Bestellungen entstehen („Simplification, Standardization und Scale“). Die dauerhaft in Litauen stationierte deutsche Brigade ist unser zentraler Beitrag für Abschreckung und Verteidigung an der NATO-Ostflanke. Die Aufstellung, ihre Ausstattung und Finanzierung sowie ihr Personalbedarf haben Priorität.

Die Ausgaben für unsere Verteidigung müssen bis zum Ende der Legislaturperiode deutlich und stringent steigen. Die Höhe unserer Verteidigungsausgaben richtet sich nach den in der NATO gemeinsam vereinbarten Fähigkeitszielen. Der Zyklus einer Legislaturperiode ist für die Umsetzung weitreichender Beschaffungs- und Rüstungsprojekte regelmäßig zu kurz. Wir streben deswegen die Einführung eines mehrjährigen Investitionsplans für die Verteidigungsfähigkeit an, der im Einklang mit dem Deutschen Bundestag langfristige finanzielle Planungssicherheit gewährleistet, um damit den Bedarfen der Bundeswehr und den Verpflichtungen gegenüber der NATO sowie ihren Fähigkeitsanforderungen gerecht zu werden. Wir werden noch im ersten halben Jahr der Regierungsarbeit ein Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz für die Bundeswehr beschließen.

Es ist zwingend, dass wir die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte kurzfristig, nachdrücklich und nachhaltig erhöhen. Dies gilt zuallererst für die Truppenverbände und Kräfte, die bereits in die Verteidigungspläne der NATO eingemeldet sind und für ihren Auftrag voll ausgestattet werden müssen. Wir fokussieren uns dabei auf den militärischen Zweck und Nutzen zur Erfüllung des Kernauftrags und richten die militärischen und zivilen Strukturen der Bundeswehr darauf aus.

Soldatinnen und Soldaten verdienen unsere höchste Anerkennung. Wir verankern unsere Bundeswehr noch stärker im öffentlichen Leben und setzen uns für die Stärkung der Rolle der Jugendoffiziere ein, die an den Schulen einen wichtigen Bildungsauftrag erfüllen.

Wir schaffen einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert. Für die neue Ausgestaltung dieses Dienstes sind die Kriterien Attraktivität, Sinnhaftigkeit und Beitrag zur Aufwuchsfähigkeit leitend. Wertschätzung durch anspruchsvollen Dienst, verbunden mit Qualifikationsmöglichkeiten, werden die Bereitschaft zum Wehrdienst dauerhaft steigern. Wir orientieren uns dabei am schwedischen Wehrdienstmodell. Wir werden noch in diesem Jahr die Voraussetzungen für eine Wehrerfassung und Wehrüberwachung schaffen.

In allen personalrechtlichen Fragen muss die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr im Vordergrund stehen. Dem Faktor der individuellen Einsatzbereitschaft räumen wir deswegen besondere Bedeutung ein. Wir machen die Bundeswehr durch flexible Dienstzeit- und 4157 Laufbahnmodelle sowie in Fragen der sozialen Fürsorge attraktiver. Das bestehende Arbeitszeitregime für die Bundeswehr passen wir dem veränderten Bedarf der Streitkräfte an. Wir wollen den Anteil der Frauen und von Menschen mit Migrationsgeschichte in der Bundeswehr erhöhen.

Wir wollen die Reserve und den Heimatschutz weiter stärken, sie dem Auftrag entsprechend ausstatten und sie strukturell und gesellschaftlich besser verankern.

Wir setzen uns dafür ein, dass Hemmnisse, die beispielsweise Dual-Use-Forschung oder auch zivil-militärische Forschungskooperationen erschweren, abgebaut werden. Außerdem wollen wir die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands im Weltraum entschlossen und zügig ausbauen. Eine nationale Weltraumsicherheitsstrategie werden wir im ersten Regierungsjahr veröffentlichen. Wir werden das Defizit, das es in Deutschland im Bereich der strategischen Sicherheitsforschung gibt, beseitigen und uns für deren Förderung im Sinne eines vernetzten Sicherheitsverständnisses einsetzen.

Das Planungs- und das Beschaffungswesen wird reformiert. Für einzelne Großprojekte, aber auch für Zukunftstechnologiebereiche, die einer hohen Innovationsdynamik unterliegen, werden wir neue Realisierungswege implementieren. In besonders kritischen Bereichen, wie Munition, werden wir verstärkt mit Vorhalteverträgen und Abnahmegarantien arbeiten. Die Verfügbarkeit von Schlüsselressourcen, wie zum Beispiel Sprengstoffen, wird abgesichert. Bereits erfolgte Zertifizierungen und Zulassungen von Partnernationen erkennen wir dort wo möglich an und verzichten auf eine erneute Durchführung. Wir werden das Verfahren der Parlamentsbeteiligung in Beschaffungsfragen beschleunigen und empfehlen, die Höhe des Schwellenwertes für Beschaffungsvorlagen zu erhöhen. Die bereits geschaffene Grundlagenentwicklung des Future Combat Air System sowie des Main Ground Combat System werden wir zügig gemeinsam fortsetzen.

Wir fördern verstärkt Zukunftstechnologien für die Bundeswehr und führen diese in die Streitkräfte ein. Dies gilt insbesondere für die Bereiche: Satellitensysteme, Künstliche Intelligenz, unbemannte (auch kampffähige) Systeme, Elektronischer Kampf, Cyber, Software Defined Defense und Cloud-Anwendungen sowie Hyperschallsysteme. Hierzu ist auch ein vereinfachter Zugang und vertiefter Austausch mit Forschungseinrichtungen, dem akademischen Umfeld, Start-Ups und Industrie notwendig.

Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie einschließlich des wehrtechnischen Mittelstandes ist durch langfristig planbare Beauftragungen und vereinfachten Kapitalzugang zu stärken. Wir schaffen hierzu resilientere Lieferketten. Damit maximieren wir die deutsche und europäische Handlungsautonomie. Bei Rüstungskäufen außerhalb des EU-Vergaberechts werden wir Offset-Möglichkeiten nutzen. Wenn die vollumfängliche Gewährleistung der Sicherheits- und Verteidigungsinteressen Deutschlands durch Änderungen der Eigentums- und Anteilsverhältnisse an Schlüsselunternehmen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie bedroht ist, werden wir auch strategische Beteiligungen des Bundes in Betracht ziehen.

Wir richten unsere Rüstungsexporte stärker an unseren Interessen in der Außen-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik aus. Wir wollen eine strategisch ausgerichtete Rüstungsexportpolitik, welche der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, ihren ausländischen Partnern sowie ihren Kunden Verlässlichkeit gibt. Die Unterstützung von Rüstungsexporten über Government-to-Government-Vereinbarungen bauen wir aus.

Exportkontrollgenehmigungen müssen rascher und koordinierter geprüft werden. Wir streben eine Harmonisierung der europäischen Rüstungsexportregeln an. Rüstungsexporte, bei denen ein erhebliches konkretes Risiko besteht, dass diese zur internen Repression oder in Verletzung des internationalen Rechts eingesetzt werden, lehnen wir grundsätzlich ab.

Die Aufwuchs- und Verteidigungsfähigkeit der Streitkräfte erfordern eine deutliche Steigerung der jährlichen Investitionen in militärische Infrastruktur. Um dies zu erreichen, werden wir das Genehmigungs- und Vergaberecht sowie die Beschaffung, den Schutz und die Widmung militärischer Flächen durch Verfahrensfreistellungen und durch mehr Eigenvollzugskompetenzen für die Bundeswehr vereinfachen. Haushaltsrechtliche Vereinfachungen werden wir in enger Absprache mit dem Bundestag prüfen. Für militärische Bauvorhaben vereinfachen wir die Bedarfsdefinition und Genehmigung und schaffen mit einem Bundeswehrinfrastrukturbeschleunigungsgesetz Ausnahmeregelungen im Bau-, Umwelt- und Vergaberecht sowie beim Schutz und der Widmung militärischer Flächen. Die Belange und die Infrastrukturmaßnahmen zur Gesamtverteidigung sind als überragendes öffentliches Interesse festzuschreiben und in der Umsetzung gegenüber anderen staatlichen Aufgaben zu priorisieren.

Die Bundeswehr und alle staatlichen sowie gesamtgesellschaftlichen Akteure müssen effektiv zusammenarbeiten können, um Angriffe auf unser komplexes System schnell zu erkennen und gezielt und wirksam zu bekämpfen. Die Vorsorge- und Sicherstellungsgesetze werden wir vor diesem Hintergrund umfassend novellieren.

Um uns an die veränderte Sicherheitslage anzupassen, werden wir noch in diesem Jahr das Gesetz über den Militärischen Abschirmdienst (MAD) umfassend novellieren. Mit einem Artikelgesetz Militärische Sicherheit wollen wir die bisherigen Verfahren bei Sicherheitsüberprüfung und Sabotageschutz verbessern und erheblich beschleunigen.

Lars Hoffmann