Nicht erst seit dem spektakulären Einsatz eines Spionageballons über den USA erhalten Aerostats wieder größere Aufmerksamkeit. Bereits zu Beginn des Ukrainekrieges wurde bekannt, dass beide Seiten mit Radarreflektoren ausgestattete Exemplare zur Täuschung der jeweils generischen Flugabwehr einsetzten. Zuletzt sorgte ein ukrainischer Ballon als Träger von Jagddrohnen für Aufmerksamkeiten. Grund genug die militärische Nutzbarkeit von Ballons im 21. Jahrhundert zu beleuchten.
Als Aerostat (von Altgriechischen aḗr für Luft und statós für stehen) oder Ballon werden Luftfahrzeuge mit selbsttragender, gasdichter Hülle bezeichnet, die mit Gas, oder im zivilen Bereich auch mit Heißluft gefüllt werden und im Gegensatz zu Luftschiffen durch eine Verankerung an einem Ort verbleiben. Zudem gelten Fesselballons, wie diese Luftfahrzeuge ebenfalls landläufig bezeichnet werden, als das ältesten Luftkriegsmittel. Vorläufer wie das bereits 1794 gegründeten, französischen Corp d’Aerostiers kamen schon in den Napoleonischen Kriegen zum Einsatz. In den USA wurde mit Beginn des Bürgerkrieges 1861 das Balloon Corps aufgestellt.
Ab den 1880er Jahren entstand im Deutschen Reich querschnittlich die Feldluftschiffe, welche mit unterschrieben Luftfahrzeugen ausgestattet der Aufklärung, Artilleriebeobachtung und der Kommunikation dienten. Beide Weltkriege sahen die Nutzung von Ballons, wobei die freitragenden Konstruktionen zunehmend zu Sperrmitteln gegeben Tieffliegerangriffe, aber auch zum Schutz von Ballungsräumen wie London gegen die Flugbombe V1 umfunktioniert wurden. Ab den 1950er Jahren dienten Ballons im militärischen Kontext mehrheitlich nur noch der Wettererkundung, wobei sie in dieser Rolle organischer Bestandteil der aufkommenden Aufklärungsdrohneneinheiten wurden.
Moderne Aerostat Systeme
Die Renaissance des Ballons verdankt dieser der Entwickler von modernen Materialien und optronische Geräten. Durch die Nutzung von witterungsbeständigen und leichten Hüllenmaterial bei gestiegener Standzeit wurden Aerostats insbesondere als stationäre Träger von Aufklärungs- und Überwachungssystemen zunehmend zu wertvollen Plattformen in den asymmetrischen Konflikten zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Zudem experimentierte man schon vorher mit Fesselballons als Träger für Radarsysteme auf hoher See, um die Aufklärungsreichweite zu erhöhen. Auf Basis dieser in den früher 2000er Jahren bereits vielfach im maritimen Umfeld bewährten Systemen entwickelte das US-Unternehmen Lockheed Martin sein Persistent Threat Detection System (PTDS). Zwischen 2003 und 2012 wurden insgesamt 66 Aerostats des Typs ausgeliefert und in Afghanistan und dem Irak eingesetzt. Mit einer maximalen Flughöhe von etwa 4.500 m erlaubte die moderne Optronik an Board eine 24 Stunden Überwachung des Umfeldes mit einem Radius von bis zu 150 km.[i]
Auf Basis des PTDS entwickelte Lockheed Martin den autonomen, solarbetriebenen High Altitude Long Endurance Demonstrator (HALE-D), welcher in über 19 km Höhe steigen kann, jedoch durch seinen Eigenantrieb beweglich ist und somit nicht als Aerostat gilt. Die von Raytheon für die Überwachung des US-Festlandes konzipierte Joint Land Attack Cruise Missile Defense Elevated Netted Sensor System, kurz JLENS wiederum wurde nach fast zwei Jahrzehnten Entwicklungszeit nicht eingeführt. Die Ballons mit einer Nutzlast von bis zu 1.600 kg sollten neben anfliegenden Marschflugkörpern auch zur Aufklärung von Schiffen und sogar einzelnen Kraftfahrzeugen auf große Distanz geeignet eingesetzt werden. Nach mehreren technischen Rückschlägen strich der US-Kongress jedoch 2015 die Finanzierung.
Auch die Bundeswehr nutzte Fesselballons als Sensorträger für den Feldlagerschutz. Zuletzt wurde der Rheinmetall-Konzern im Sommer 2021 mit der Lieferung und dem Betrieb eines Überwachungsfesselballons zum Schutz eines Feldlagers in Niger beauftragt. Das System war ursprünglich für den Feldlagerschutz in Mali vorgesehen, konnte dort aber nicht in Betrieb genommen werden, da die Vereinten Nationen, die in der Nähe ein eigenes Lager unterhielten, die Zustimmung für den Betrieb des Ballons mit Verweis auf die örtliche Nähe zum internationalen Flughafen verweigerten.

Den Angaben Rheinmetalls zufolge wäre mit dem System ein rund um die Uhr betrieb, sieben Tage die Woche möglich. Die Sensorik erlaube es demnach mögliche gegnerische Kräfte bei Tag und Nacht über mehrere Kilometer Entfernung identifizieren zu können.
Ballons im Ukrainekrieg
Bereits zu Beginn des Konfliktes wurden zumeist improvisierte Systeme in Form von Wetterballons dokumentiert, welche mit einem Radarreflektor ausgestattet die gegnerische Flugabwehr täuschen, zur Aufschaltung und idealerweise zur Bekämpfung mit einem teuren Lenkflugkörper bewegen sollten.
Die russische Seite setzte solche Ballons immer wieder ein, um die ukrainische Luftverteidigung insbesondere in der Anflugschneise eigener Luftkriegsmittel Richtung Kiew aufzuklären[ii]. Zudem tauchten im Frühjahr 2024 Berichte auf, wonach die ukrainische Seite Ballons als Träger von Mörsergranaten und anderen Abwurflasten für Angriffe auf das russische Hinterland einsetzen würde.
Die größte, wenn auch am wenigsten beachtete Verbreitung erfuhren klassische Aerostat Systeme jedoch auf beiden Seiten des Konfliktes als kosteneffiziente Träger von Kommunikationsrelais und Mittel der elektronischen Kampfführung. Mit zunehmender Nutzung von FPV-Drohnen wurde durch Aerostats auch die Reichweite der Systeme in der Repeater-Funktion auch jenseits des Horizonts deutlich verbessert.
Einer der Anbieter solcher Aerostats auf ukrainischer Seite ist das 2023 gegründete Unternehmen Aero Bavovna. Der Spezialist für selbsttragende Hüllen mit einer Produktionsstätte in der Ukraine beliefert neben den eigenen Streitkräften auch die Nationalgarde und die Grenztruppen. Die Fesselballons mit einer Wasserstoffbefüllung, einer maximalen Flughöhe von 1.000 m und einer Außenlast von bis zu (je nach Ausführung) 20 kg können Herstellerangaben zufolge Windgeschwindigkeiten bis zu 15 m/s aushalten. Bei widrigen Bedingungen kann der Ballon schnell eingeholt werden, um im Anschluss bis zu sieben Tage lang, ohne dass das Gas neu aufgefüllt werden muss, geflogen zu werden. Zur Überwachung der Flugparameter dient ein Controller im Ballon, welcher über eine Telemetrieübertragung die Bodenstation mit den aktuellen Flugdaten versorgt.
Die von Aero Bavovna angebotenen Fesselballons sind dem Unternehmen zufolge geeignet als Relais für Funkverbindung und als Träger einer stabilisierte Optroniksensoren zu dienen. Zudem nutzen spezialisierte Einheiten der ukrainischen Streitkräfte die Aerostats als Träger von Mitteln der elektronischen Kriegsführung bzw. zur Aufklärung der Standorte solcher Systeme auf russischer Seite. In beiden Fällen ist durch die Flughöhe von bis zu 1.000 m die Fähigkeit relevant im Gegensatz zum Boden deutlich hinter den Horizont wirken zu können. Mit dem Aufkommen von FPV-Drohnen als omnipräsentes Wirkmittel ist zudem die Funktion als Relais für die Telemetrieübertragung als wichtige Aufgaben hinzugekommen.
Seit FPV-Drohnen für die gezielte Jagd auf höherwertigere Aufklärungs-UAS genutzt werden, ist noch eine weitere Komponente für die Nutzung von Aerostats hinzugekommen. So können die Ballons teilweise mehrere Abfangdrohnen über Tage in einem vorgegebenen Raum 1.000 m über Grund halten und gleichzeitig als Relais die Reichweite der Telemetrieübertragung erhöhen. Der Umstand, dass die Abfangdrohnen nicht erst auf die Flughöhe des Ballons steigen müssen, verbessert die Reichweite und Reaktionsgeschwindigkeit der Abfangdrohne signifikant. Ein kürzlich öffentlich zugänglich gewordenes russisches Patent zeigt, dass nicht nur die ukrainische Seite in diese Richtung denkt. Der patentierte ringförmige Aerostat ist mit Solarpaneelen ausgestattet, um die Energieversorgung der mitgeführten FPV-Drohnen auch über längere zu gewährleisten und ist auch für die Aufnahme von Aufklärungs- und Überwachungssensoren vorbereitet.
Fazit
Es ist sehr wahrscheinlich, dass Fesselballone auch in Zukunft eine gewisse Rolle im militärischen Kontext spielen werden. Ein Beleg dafür sind jüngst vergebene Aufträge der U.S. Army. So hat das US-Heer zehn Anbieter für einen neuen 10-Jahres-Vertrag im Wert von bis zu 4,2 Milliarden Dollar ausgewählt, um Dienstleistungen und die Modernisierung von Aerostat-Überwachungssystemen bereitzustellen.
Eine Auferstehung des Ballons als Sperrmittel für die Luft, wie sie noch im letzten Jahr als Mittel gegen die zunehmende Angriffe ukrainischer Einwegdrohnen lanciert wurden, ist jedoch unwahrscheinlich[iii].
Die aktuell an der Front genutzten Systeme scheinen insbesondere wegen ihrer geringen Kosten nicht unwesentliche Vorteile zu bieten. Dennoch muss die Zeit zeigen, ob die Aerostats in Bezug auf Robustheit und Überlebenschance den Anforderungen eines modernen Konfliktes gewachsen sind und nicht durch die überaus schnellen Technologiezyklen erneut obsolet werden.
Kristóf Nagy
[i] https://www.army.mil/article/82551/Army_accepts_last_Persistent_Threat_Detection_System_aerostat/
[ii] https://www.twz.com/balloons-shot-down-over-kyiv-point-to-new-russian-tactics
[iii] https://kyivindependent.com/moscow-to-use-barrage-balloons-to-repel-ukrainian-drones-attacks-on-russia-the-telegraph-reports/