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Eurocorps-General: Rüstungsindustrie im Kriegsfall primäres Angriffsziel

Lars Hoffmann

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Die Rüstungsindustrie wird nach Aussage von Generalleutnant Piotr Blazeusz zu Beginn eines Krieges eines der Hauptangriffsziele für den Gegner darstellen. Vor diesem Hintergrund gelte es, die Ausfallsicherheit der Produktion und der Supply Chain für Zeiten der Krise sicherzustellen, sagte der kommandierende General des Eurocorps am Freitag bei einem Arbeitsfrühstück in der polnischen Botschaft in Berlin.

Der Krieg in der Ukraine und die zahlreichen Unterstützungsleistungen für die ukrainischen Streitkräfte, haben nach den Worten von Blazeusz eine mitunter „sehr merkwürdige“ Lieferkette offengelegt, die mitunter global Vorprodukte beziehe. Wie der General, der vor seiner aktuellen Verwendung den Dienstposten als stellvertretender Chef des polnischen Generalstabes innehatte, beobachtet, gibt es mittlerweile nur noch wenige militärische Produkte, die zu 100 Prozent national gesourct werden. So komme manchmal das GPS-Set, das Getriebe oder der Antrieb aus dem Ausland, sagte Blazeusz. Polen haben bei der Abgabe seiner Mig 29 an die Ukraine sowohl Deutschland als auch die Slowakei um Erlaubnis bitten müssen, da die Flugzeuge mit Triebwerken aus diesen beiden Ländern ausgestattet waren.

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Da die europäische Rüstungsindustrie in den Jahrzehnten nach dem Ende des Kalten Krieges massiv geschrumpft war, konnte sie den Bedarf in Folge der Materialabgabe an die Ukraine weder im geforderten Zeit- und Preisrahmen noch in der Quantität decken, wie der General erläuterte. Aus diesem Grund seien für bestimmte Produkte Länder wie Korea, die Türkei oder Brasilien ins Spiel gekommen, die die Lücke füllen konnten. Polen beispielsweise habe bewusst nicht nur Material aus den Depots, sondern auch direkt aus der Truppe an die Ukraine abgegeben und damit die Schwächung der Kampfbereitschaft in Kauf genommen. Außer Südkorea sei dann kein anderes Land in der Lage gewesen, in kurzer Zeit und im gewünschten Umfang Material zum Schließen der entstandenen Ausrüstungslücken zu liefern.

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Bei der Veranstaltung unter dem Titel „Outlook for the European defense industry. Between current urgent needs and developing tomorrow’s defence capabilities“ in der vor wenigen Monaten eröffneten neuen polnischen Botschaft in der Nähe des Brandenburger Tors forderte der Eurocorps-General von der Politik eine Vereinfachung der Beschaffungsregularien, inklusive der Zertifizierung von Militärgütern. Standards müssten auf Konnektivität und Interoperabilität ausgerichtet sein, sagte er. Überdies wünscht er sich mehr Investitionen in disruptive Technologien.

Sollten Forschung und Entwicklung von Systemen von der EU gesponsert worden sein, sieht Blazeusz die Option, die Ergebnisse sowie die Intellektuellen Eigentumsrechte daran mit der European Defence Agency zu teilen. Diese könne dann Lizenzen an andere Hersteller vergeben, um die Produktion schnell zu erhöhen.

Mit Blick auf das Eurocorps regt der General die länderübergreifende Anerkennung von Wartung, Reparatur und Abnahme von ähnlichen Plattformen an. So könne bislang ein belgischer Soldat einen deutschen Unimog zwar reparieren, allerdings nicht abnehmen. Diese gelte umgekehrt auch für seinen deutschen Kameraden bei der Wartung eines belgischen Unimogs.

Grundsätzlich sieht Blazeusz die Industrie und das Militär in der Pflicht, weniger komplizierte Waffensysteme zu entwickeln. Anforderungen müssten von den Streitkräften allgemeiner gefasst und dann dauerhaft beibehalten werden, ist sein Petitum.

Der Kommandeur des Eurocorps plädiert auch für die Nutzung von, wie er es nennt, MOU-Entitäten. Dazu zählt er AWACS oder die Strategic Airlift Capability (SAC). Bei SAC betreiben zwölf NATO-Staaten auf Basis eines Memorandum of Understanding (MOU) insgesamt drei Transportflugzeuge des Typs C-17, die in Ungarn stationiert sind. Dies gibt den Ländern den Zugriff auf strategische Lufttransportfähigkeiten, ohne selbst Flugzeuge beschaffen zu müssen. Beim Eurocorps handelt es sich um Dual-Use-Gebilde, das sowohl für die NATO als auch die EU arbeitet. Um Friktionen zu verringern, sieht sein Kommandeur einen weiteren Bedarf für die Harmonisierung der Regularien zwischen der Verteidigungsallianz und der Staatengemeinschaft. Insbesondere im Bereich Communication and Information Systems (CIS) bestehe erheblicher Bedarf, sagte Blazeusz. So hat der General bei einer Übung beobachtet, dass die Streitkräfte zweier Länder zwar Sitaware-Software des gleichen Herstellers nutzen, diese aber trotzdem nicht miteinander kommunizieren können.

Lars Hoffmann