Die Grundsätze, dass im Krieg nur das Einfache Erfolg hat und dass Logistik entscheidend für den Erfolg im Krieg ist, sind nicht erst seit dem nunmehr über drei Jahre laufenden Krieg auf ukrainischem Boden bekannt. In den aktuellen Lebensalltag der Bundeswehr haben diese in Zeiten des Kalten Krieges gelebten Grundsätze jedoch bis heute nicht durchgängig Einzug gehalten – die Bundeswehr züchtet nämlich weiter fleißig den sogenannten logistischen Zoo. Dabei zeigt der aktuelle Blick in die Ukraine, welche Herausforderungen eine Typenvielfalt im scharfen Kriegsbetrieb mit sich bringt.
Der Umstand, dass das Beschaffungswesen der Bundeswehr – in dem das Bundeswehr-Beschaffungsamt BAAINBw nur der ausführende Arm, aber nicht der ganze Körper ist – sich auf die Beschaffung von Fähigkeiten und nicht von Produkten fokussiert, hat das logistische System der Streitkräfte bereits in Friedenszeiten an seine Grenzen geführt. Resultat dieser Art der Beschaffung ist allzu oft ein breiter „Blumenstrauß“ an Ausrüstung und Fahrzeugtypen unterschiedlicher Hersteller, denen jeglicher logistischer Synergieeffekt abgeht.
Bestes Beispiel dafür sind handelsübliche Transport-Lkw. Anstatt eine Fahrzeugfamilie eines Herstellers zu beschaffen, die alle Gewichtsklassen abdeckt und so Vorteile in der Nutzung – bspw. im Rahmen der Ausbildung von Kraftfahrern und Mechanikern, bei der Ersatzteilbevorratung- und -versorgung sowie der Instandsetzung – mit sich bringt, gehen im Rahmen der zahlreichen Vergabeverfahren unterschiedliche Hersteller als Sieger hervor.
Die Idee hinter dieser Art der Beschaffung liegt in der Annahme der Kosteneinsparung beim Kauf neuer Produkte. Das Grundproblem daran liegt aber in den höheren Folgekosten, da Skaleneffekte in der Nutzung nicht erzielt werden können und zudem höhere Personalkosten in der Truppe anfallen. Anstatt einen Instandsetzer oder Bediener an einem System zu schulen, wird dieser an mehreren Systemen ausgebildet, was in einem höheren Aufwand in der Ausbildung und längeren Abwesenheiten aus der Truppe resultiert.
Das angesprochene Problem ist nicht neu und wird selbst von hochrangigen mit Rüstungsangelegenheiten betrauten Vertretern der Bundeswehr und des Verteidigungsministeriums seit Jahren immer wieder thematisiert. Als Schuldiger wird zumeist das europäische Vergaberecht identifiziert, welches den Wettbewerb zwingend erforderlich macht. Überzeugend ist diese Aussage nicht, da es genügend Beispiele gibt, die das Gegenteil belegen – etwa aus dem Nachbarland Frankreich, wo selbst handelsübliche Pkw für die Streitkräfte im Rahmen der Direktvergabe von französischen Autobauern beschafft werden.
Zudem zeigen zwei aktuelle Beispiele, dass der logistische Zoo auch abseits der Wettbewerbsvergabe fleißig weiter kultiviert wird. Zum einen wurde im Zuge des Vorhabens Tactical Wide Area Network for Land Based Operations (TaWAN LBO) bewusst entschieden, das Trägerfahrzeug auf Basis des 8×8-Radpanzers Piranha 5 zu realisieren. Dem Vernehmen nach waren Realisierungsgeschwindigkeit und Minimierung des Entwicklungsrisikos ausschlaggebend dafür, dass über das Vorhaben eine neue Radpanzerplattform in der Bundeswehr gerüstet wird. Das zweite Vorhaben betrifft die Fuchs-Nachfolge, die im Rahmen des multinationalen Vorhabens Common Armoured Vehicle System (CAVS) realisiert wird. In den nächsten Jahrzehnten sollen die CAVS-6×6-Radpanzer rund 1.000 Fuchs-Fahrzeuge in unterschiedlichen Varianten ersetzten. Abseits der industriepolitischen Diskussion, ob man der CAVS-Plattform den Vorzug gegenüber einer deutschen Alternative geben sollte oder nicht, lässt der Austausch einer Radpanzer-Familie durch eine andere Radpanzer-Familie wenige Wünsche aus Sicht der Logistik offen. Doch ein Detail der CAVS-Beschaffung lässt Kenner stutzig werden. Denn mit CAVS soll gut informierten Kreisen zufolge eine Waffenstation vom Typ Protector RS4 des norwegischen Rüstungskonzerns Kongsberg breit in die Bundeswehr eingeführt werden. Im Grunde wenig überraschend, da Kongsberg seit 2016 49,9 Prozent an dem CAVS-Hersteller Patria hält und im März 2024 eine Vereinbarung unterzeichnet hat, mehr als 300 Patria-6×6-Fahrzeuge an Schweden und Finnland zu liefern, hartpunkt berichtete. Für die Bundeswehr ist die Waffenstation keine wirklich unbekannte. Die deutschen Streitkräfte hatten vor wenigen Jahren im Rahmen des mittlerweile eingestellten Vorhabens qualifizierte Fliegerabwehr auf GTK Boxer zehn dieser Waffenstationen beschafft, die nun als Hard-Kill-Komponenten in dem zum Schutz von Feldlagern vor Drohnen vorgesehenem System ASUL (Abwehrsystem für unbemannte Luftfahrzeuge) wiederverwendet werden sollen.
Dennoch hätte die Bundeswehr sicherlich die Möglichkeit, auch eine bereits in der Breite eingeführte Waffenstation auf die CAVS-Fahrzeuge zu setzen, um so den Ausbildungsbedarf der Bediener und Instandsetzer nicht zusätzlich zu steigern. Denn schlussendlich werden die CAVS-Fahrzeuge auch in Verbänden zum Einsatz kommen, die über geschützte Lkw und Boxer 8×8-Radpanzer verfügen, welche mit Waffenstationen eines anderen Typs ausgerüstet sind.
Die bis dato am weitesten verbreiteten Waffenstationen in der Bundeswehr sind die fernbedienbaren Waffenstationen vom Typ FLW 100 und 200 des Herstellers KNDS Deutschland. Diese Systeme kommen beispielsweise auf Fahrzeugen vom Typ Dingo, Eagle, Fuchs, Fennek und Boxer zum Einsatz. Vor wenigen Wochen erst wurde ein neuer Rahmenvertrag mit KNDS geschlossen, aus dem weitere Waffenstationen dieses Typs abgerufen werden können.
Darüber hinaus wurde Ende November 2024 seitens des Bundeswehr-Beschaffungsamtes BAAINBw ein Teilnahmewettbewerb für die Beschaffung von leichten Waffenstationen gestartet. Insgesamt sollen bis zu 2.972 Sätze der leichten Waffenstation eingeführt werden, etwa 740 davon als Festbeauftragung. Als Bewaffnung ist das mittlere Maschinengewehr MG5A1 im Kaliber 7,62 x 51 mm vorgesehen. Dem Vernehmen nach sollen derzeit die Teilnahmeanträge ausgewertet werden und in Kürze alle geeigneten Bewerber zur nächsten Phase des Verfahrens eingeladen werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es sich bei dem dann final ausgewählten System um eine bis dato in der Bundeswehr nicht in Nutzung befindliche Waffenstation handeln wird. Möglicherweise könnte aber auch eine bereits eingeführte Waffenstation als Sieger aus dem Wettbewerb hervorgehen. Ein Umstand der mindestens auf den ersten Blick erklärungsbedürftig erscheint. Wenn die eingeführten Systeme als leistungsfähig genug bewertet werden, was bspw. der jüngst geschlossene Rahmenvertrag suggeriert, ist es fraglich, wieso der ausgeschriebene Bedarf nicht mittels der FLW 100 bedient werden kann. Wenn hingegen die Leistungs- oder auch Zukunftsfähigkeit als unzureichend bewertet wird, stellt sich unweigerlich die Frage, wieso dann nicht gleich alle in der Nutzung befindlichen Systeme durch eine modernere Waffenstation-Familie ersetzt werden.
Mit der Auswahl des Kodiak von Rheinmetall als zukünftiger Pionierpanzer 3 der Bundeswehr im Mai 2021 wurde zudem (mit)entschieden, die von Rheinmetall entwickelte fernbedienbare Waffenstation „Natter“ in die Bundeswehr einzuführen. Auch diese Waffenstation sol genauso wie die FLW-Familie oder die Protector RS4 mit einem Maschinengewehr im Kaliber 7,62 mm x 51 oder 12,7 mm x 99 (.50 BMG) ausgerüstet werden oder eine 40mm-Granatmaschinenwaffe aufnehmen können. Da das Projekt aber eine Verzögerung hat – die Lieferung des ersten Pionierpanzer-3-Nachweismusters sollte 2023 erfolgen, ist aber bis heute noch nicht an die Bundeswehr ausgeliefert – wurde die Waffenstation faktisch noch nicht eingeführt.
Resümee
Die zwei Beispiele zeigen deutlich das Spannungsfeld des aktuellen Beschaffungswesens, welches allzu oft zwischen sich gegenseitig ausschließenden Kriterien wählen muss. Nicht selten hat dies zu einem Flickenteppich in der Ausstattung geführt, der das logistische System an seine Grenzen bringt.
Wenn man bedenkt, dass allein das kleinste Heer aller Zeiten heute die größte Anzahl an unterschiedlichem Großgerät und Waffensystemen einsetzt, dann kann man sich leicht vorstellen, welche Herausforderungen daraus für die Logistik und Ausbildung erwachsen. Die zwei aktuellen Beschaffungsentscheidungen deuten jedoch darauf hin, dass der „logistische Zoo“ noch weiter anwachsen wird und zumindest kurzfristig keine Besserung zu erwarten ist.
Waldemar Geiger