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GMLRS-ER und PrSM – kein Export moderner Artillerieraketen nach Norwegen

Waldemar Geiger

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Die norwegischen Streitkräfte beabsichtigen, moderne Fähigkeiten zum Wirken auf große Reichweiten zu beschaffen und haben in diesem Zusammenhang bei unterschiedlichen Anbietern Informationen bezüglich der Beschaffung von Raketenartilleriesystemen samt dazugehöriger Bewaffnung eingeholt. Ein System von Interesse ist das US-Raketenartilleriesystem vom Typ M142 High Mobility Artillery Rocket Systems (HIMARS). Wie hartpunkt berichtete, hat die US-Regierung einem möglichen Verkauf dieses Systems sowie einem Munitionspaket, bestehend aus älteren GMLRS-Raketen sowie ballistischen Raketen des Typs M57 Army Tactical Missile System (ATACMS), zugestimmt.

Einem gestern veröffentlichten norwegischen Medienbericht zufolge wurde jedoch nur der mögliche Verkauf eines Teils des angefragten Munitionspakets gebilligt. Wie hartpunkt aus gut informierten Kreisen bestätigt wurde, hat Norwegen auch Interesse an einem potenziellen Kauf von modernen Artillerieraketen des Typs GMLRS-ER sowie der weitreichenden Precision Strike Missile (PrSM) geäußert. Die US-Regierung habe jedoch keine Exportgenehmigung für diese Munitionssorten erteilt. Warum diese nicht erfolgt ist, bleibt unklar.

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Dieser Vorgang sorgt auch außerhalb von Norwegen für Verwunderung, da das nordische NATO-Land als enger Verbündeter der USA gilt und in der Vergangenheit Zugang zu moderner Rüstungstechnologie – wie beispielsweise dem Tarnkappenkampfjet F-35 – erhalten hat. Zwar ist es kein Geheimnis, dass die USA bis dato keine Entscheidung über die Exportfähigkeit der in Einführung befindlichen Precision Strike Missile getroffen haben – ein Manager von Lockheed Martin hat dies bereits im Juni gegenüber hartpunkt eingeräumt –,  überrascht sind viele Beobachter hingegen über die Entscheidung bezüglich der Extended-Range-Varianten der GMLRS-Raketen. Denn wie aus einer Veröffentlichung der Defense Security Cooperation Agency (DSCA) – einer für den Export von US-Waffen zuständigen Behörde – vom 7. Februar 2023 hervorgeht, hat die US-Regierung ein von der polnischen Regierung gestelltes Exportgesuch von GMLRS-ER-Raketen positiv beschieden. Polen hatte Kaufinteresse an insgesamt 532 Raketenpods des Typs XM403 Guided Multiple Launch Rocket System Extended Range Alternative Warhead (GMLRS-ER AW) geäußert. Ein solcher Pod beinhaltet sechs Artillerieraketen.

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Eine Erklärung für diese Entscheidung könnte sein, dass womöglich sämtliche Produktionskapazitäten für beide Artillerieraketentypen bis auf Weiteres für die eigenen Streitkräfte benötigt werden. Sollte dies der Grund sein, müssten alle potenziellen Interessenten für diese modernen Varianten der Waffensysteme – darunter auch die Bundesrepublik Deutschland – warten, bis die US-Depots ausreichend aufgefüllt sind.

GMLRS-ER

Bei den Artillerieraketen vom Typ Extended Range Guided Multiple Launch Rocket System (ER GMLRS oder je nach Schreibweise auch GMLRS-ER), handelt es sich um reichweitengesteigerte Varianten der GMLRS-Raketen, wie sie beispielsweise auch in der Bundeswehr genutzt werden. Genauso wie die Precision Strike Missile befinden sich auch die GMLRS-ER-Raketen derzeit in der Einsatzerprobung der U.S. Army. Hersteller der Raketen ist Lockheed Martin.

Äußerlich markantester Unterschied der ER-GMRLS-Raketen gegenüber der GMLRS ist die Verschiebung der als aerodynamische Steuerflächen wirkenden Flossen von der Spitze ans Heck der Rakete. (Bild: Lockheed Martin)

Im Vergleich zur GMLRS konnte die maximale Reichweite mittels eines leicht vergrößerten Raketenmotors, der Nutzung einer neu entwickelten Raketenform sowie Verschiebung der als aerodynamische Steuerflächen wirkenden Flossen von der Spitze ans Heck der Rakete von 84 auf 150 Kilometer gesteigert werden. Genauso wie die GMLRS-Rakete wird auch die ER GMLRS in zwei unterschiedlichen Varianten – mit einem Unitary bzw. Alternative Warhead – produziert. Die Zielführung der Raketen erfolgt mittels GPS/Trägheitsnavigation. Bei der Unitary-Rakete handelt es sich um einen Präzisionseffektor zur Bekämpfung von Punktzielen. Die Unitary wirkt durch Explosionen und Sprengwirkung. Die Alternative-Warhead-Variante hingegen ist eine Rakete mit einem vorfragmentierten Gefechtskopf (Wolframfragmente) zur Bekämpfung von Flächenzielen.

Precision Strike Missile

Die Precision Strike Missile ist ein zukünftiges Wirkmittel der US-Raketenartillerieverbände. Hersteller ist ebenfalls der US-Rüstungskonzern Lockheed Martin. Die Rakete soll die MGM-140 Army Tactical Missile System (ATACMS) ersetzen und eine wichtige Rolle in der zukünftigen Deep-Strike-Fähigkeit der U.S. Army einnehmen. Bei einer Länge von 4 m hat die PrSM mit einem Durchmesser von 430 mm nur etwa die Hälfte des Durchmessers einer ATACMS-Rakete, sodass ein HIMARS oder MLRS-Trägerfahrzeug die doppelte Anzahl an Flugkörpern mitführen kann. Sie soll nach Erreichen der Anfangsbefähigung vornehmlich gegen statische Landziele – etwa feindliche Truppenkonzentrationen, Flugfelder und logistische Einrichtungen – eingesetzt werden.

Die U.S. Army hat Ende 2023 die ersten PrSM (Increment 1) erhalten. Öffentlich zugänglichen Informationen zufolge (Haushaltsvorschlag der US-Regierung für das Fiskaljahr 2025) haben die US-Streitkräfte im Haushaltsjahr 2023 insgesamt 42 PrSM (Increment 1) für den Preis von 162,9 Millionen US-Dollar beschafft. 2024 will man 110 weitere Increment-1-Raketen für insgesamt 384,1 Millionen US-Dollar kaufen. Im Folgejahr wurde ein Budget in Höhe von 492,6 Millionen US-Dollar für 230 Raketen, ebenfalls Increment 1, beantragt.

Komponentenaufbau einer Precision Strike Missile. (Bild: Lockheed Martin)

Parallel soll die Waffe in mehreren Schritten – sogenannten Increments – weiterentwickelt werden. Sowohl der Suchkopf, die Wirkleistung als auch Reichweite sollen dabei sukzessive verbessert werden. Daneben soll die PrSM neben der Bekämpfung von statischen Bodenzielen auch zur Bekämpfung von beweglichen Zielen wie beispielsweise Schiffen befähigt werden.

  • Die Raketen des Increment 1 verfügen über eine Trägheitsnavigation sowie ein gegen Störmaßnahmen gehärtetes GPS-Navigationssystem. Die Reichweite soll dem Vernehmen nach bei rund 60 bis 500 Kilometern liegen. Die ballistisch wirkende Rakete soll in der Lage sein, im Zielanflug Hyperschallgeschwindigkeiten zu erreichen.
  • Im Zuge des Increment 2 planen die US-Streitkräfte die PrSM mit einem mit einem passiven RF-Zielsucher sowie Infrarotzielsucher auszustatten. Dieses Multimodus-Zielsuchsystem würde die US-Raketenartillerie zur Bekämpfung feindlicher Radarstellungen sowie Schiffe befähigen. Zudem soll US-Medienberichten zufolge die Reichweite auf bis zu 1.000 km gesteigert werden.
  • Die Weiterentwicklung im Rahmen von Increment 3 fokussiert sich auf die Nutzlast der Rakete. Es wird erwartet, dass Raketen dieses Typs sowohl panzerbrechende Submunition sowie Loitering Munition verschießen werden. Im Gespräch ist offenbar auch ein speziell für die Bekämpfung von gehärteten Strukturen optimierter Gefechtskopf.
  • Increment 4 soll sich hingegen mit der Steigerung der Reichweite der PrSM jenseits der 1.000 km beschäftigen, welche ohne nennenswerte Eingriffe in die äußeren Ausmaße der Precision Strike Missile erreicht werden soll. Ein Entwicklungsauftrag für die dafür notwendige Antriebstechnologie wurde von der U.S. Army im März 2023 im Rahmen des Forschungsprogramms Long Range Maneuverable Fires an zwei unterschiedliche Parteien vergeben. Neben Lockheed Martin wurde auch ein Konsortium, bestehend aus Raytheon und Northrop Grumman, mit der Entwicklung beauftragt.

Waldemar Geiger