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Niederländische Marineinfanterie soll neue Feuerunterstützungsfähigkeiten erhalten

Waldemar Geiger

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Das niederländische Verteidigungsministerium (Ministerie van Defensie) plant das Korps Mariniers im Rahmen des Vorhabens „Precision Guided Rockets“ (PGR) mit neuen Präzisionsfeuerunterstützungsfähigkeiten auszustatten. Dies geht aus dem sogenannten Kamerbrief A-brief (A-Letter) des Verteidigungsministeriums vom 16. Mai an das niederländische Parlament hervor. Mit der Übermittlung des A-Letters an das Parlament wird die erste Phase des niederländischen Beschaffungsprozesses (A Phase – Analyse der Anforderungen) abgeschlossen.

Ziel des PGR-Vorhabens ist es demnach, eine „Military of the Shelf“-Lösung für den plattformungebundenen Einsatz sowie die Integration auf die taktischen Fahrzeuge der niederländischen Marineinfanterie zu beschaffen. Den Angaben im A-Letter zufolge ist eine Integration des Waffensystems auf die Fahrzeugtypen „Littoral All-Terrain Mobility Patrouillevoertuigen“ sowie „Future Littoral All-Terrain Mobility Band Vagn“ vorgesehen.

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Defensie zufolge soll das Projekt im Zeitraum 2024 bis 2028 durchgeführt werden, wobei der Zulauf der ersten Systeme für 2026 angestrebt wird. Die Kosten für das Projekt werden in einer Spanne von 50 bis 250 Millionen Euro geschätzt. Vorgesehen ist die Beschaffung von elf Abschussvorrichtungen samt Laser-Lenk-Kits für die Umrüstung ungelenkter 70-mm-Raketen vom Typ Hydra. Die Raketen selbst müssen nicht beschafft werden, da diese bereits zur Bewaffnung der niederländischen Apache-Kampfhubschrauber gehören und somit im Bestand der niederländischen Streitkräfte sind.

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Dem A-Letter zufolge besteht das Precision Guided Rockets Vorhaben aus folgenden Einzelelementen:

  • Dem Waffensystem, welches 70-mm-Raketen des Typs Hydra von einer Abschussvorrichtung abfeuert, die die Niederlande in einer mobilen Variante zum Einsatz bringen will als auch eingerüstet auf taktischen Fahrzeugen des Korps Mariniers. Die Abschussvorrichtung soll mindestens vier Raketen aufnehmen können.
  • Einer als Remote Optical Target Acquisition Systems (ROTAS) bezeichneten Sensoreinheit zur Zielaufklärung. Damit kann das System bei Tag und Nacht mit einem Infrarotlaser stationäre, bewegliche und fliegende Ziele identifizieren, verfolgen und markieren. Der Sensor kann an einem Teleskopmast angebracht werden, um Ziele leichter zu identifizieren und die Sichtbarkeit von Fahrzeugen zu verringern.
  • Einem Feuerleitsystem zur Weiterleitung der Sensorinformationen an den Werfer.
  • Einer Laser-Lenk-Einheit für die ungelenkten Hydra-Raketen, die diese in einen präzisionsgelenkten Flugkörper umgewandelt.

Absicht der niederländischen Streitkräfte ist es, der Marineinfanterie, die eigenen Angaben zufolge gegenwärtig nur über eine organische Feuerunterstützungsfähigkeit mittels 120-mm-Mörsern mit relativ geringer Reichweite (8 km) und Präzision verfügt, mittels PGR eine präzise Feuerunterstützungsfähigkeit auf Distanzen von bis zu sieben Kilometern zu geben. „Die PGR schließt die Lücke in der derzeitigen Bewaffnung, die auf mittlere Reichweite besteht“, heißt es in dem Kammerbrief. „Für die vorgesehene Operationsführung benötigt das Korps Mariniers jedoch einen Mix an Feuerunterstützungsmitteln, die sich in Bezug auf die Schussdistanz und die zu erzielende Wirkung ergänzen. Für die nahe Zukunft plant das Korps Mariniers, neben PGR auch präzisionsgelenkte Mörsermunition (PGM) und Loitering Munition zu nutzen. Diese Mittel ergänzen sich in Bezug auf die kurze, mittlere und lange Reichweite und die beabsichtigte Wirkung auf das Ziel“, heißt es in dem A-Letter weiter. PGR soll demnach die Lücke in der derzeitigen Bewaffnung im Bereich der mittleren Distanzen schließen. Darüber hinaus soll das Waffensystem in der Lage sein, Ziele unter schwierigen Wetterbedingungen und bei hoher Cyber-Bedrohung zu bekämpfen.

Zudem geht aus dem Ministeriumsbrief hervor, dass „mehrere Verbündete, darunter die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich, das Präzisionswaffensystem im Einsatz haben“. Weiter heißt es: „Da die Lenkflugkörper mit Koalitionspartnern und Verbündeten austauschbar sind, fördert dies die Interoperabilität. Darüber hinaus kann das Korps Mariniers die Nachschubprozesse während der Ausbildungs- und Trainingsaktivitäten und während des Einsatzes erleichtern, indem es diese gemeinsam mit Partnern durchführt.“

Dies deutet darauf hin, dass es sich bei dem zu beschaffenden Waffensystem um das 2017 erstmals vorgestellte Fletcher-System des US-Herstellers Arnold Defense handeln dürfte. Die Fletcher-Systeme, welche es in einer Vierfach-Werfer-Version als auch Achtfach-Werfer-Version gibt, wurden einer Mitteilung des Herstellers vom Herbst 2020 zufolge sowohl durch die US-Spezialkräfte als auch Spezialkräfte einer europäischen Nation beschafft.

Mit dem Fletcher-System hat Arnold Defense eine Abkehr vom traditionellen Einsatzkonzept für 70-mm-Raketensysteme vollzogen; nämlich dem einer Flächenwaffe, welche primär von Luftfahrzeugen verschossen wird. Das Fletcher-Design ermöglicht nach Angaben des Unternehmens eine einfache Bedienung, Wartung und Instandhaltung. Infolgedessen ist das Fletcher-System „raketen-agnostisch“ und ermöglicht es dem Nutzer, seine im Bestand vorhandenen 70-mm-Raketen zu nutzen. Laut Arnold Defense kann das Fletcher-System in eine Vielzahl von Bodenfahrzeugen integriert werden. Für den fahrzeugunabhängigen Einsatz steht eine Lafette auf Dreibein zur Verfügung. Ein mit vier Raketen bestückter Werfer wiegt rund 80 Kilogramm.

Waldemar Geiger